Durch Shoppen die Welt verbessern?
Redebeitrag von Christof von der FoodCoop d’Speis für die Podiumsdiskussion “Durch Shoppen die Welt verbessern”, WU Festsaal, 10.12.2012
Bewusster Konsum als Normalzustand und als Ausnahmezustand
In Bezug auf die zentrale Frage dieser Diskussion bin ich der Ansicht, dass Shoppen alleine die Welt nicht verbessern kann. Allen gesellschaftlichen Verbesserungen gehen soziale Kämpfe voraus. Wem wirklich etwas an gesellschaftlicher und ökologischer Veränderung liegt, darf Konsumieren nicht mit politischem Engagement verwechseln. Richtiger Konsum kann politischen Aktivismus nicht ersetzen.
Ich denke es macht Sinn beim bewussten Konsum zwischen ethischem Konsum als Normalzustand und kritischem Konsum als Ausnahmezustand zu unterscheiden.
Auf Konsument*innenseite führt bewusster Konsum als Normalzustand, wie wir es im Moment anhand der Zunahme von angeblich sozial und ökologisch nachhaltigen Waren in den Supermarktregalen beobachten können, meist zu einem besseren Gewissen und nicht zu selten zu einem Gefühl der moralischen Überlegenheit gegenüber denjenigen, die das nicht machen, oder die es sich einfach nicht leisten können, “richtig” zu konsumieren. Die, die es sich nicht leisten können, kommen im Märchen des richtigen Konsums oft nur als handlungsunfähige Menschen vor, die durch den richtigen Konsum angeblich gerettet werden. Verdeckt wird dadurch, dass diese Menschen nicht selten in soziale Auseinandersetzungen involviert sind, durch die sie ihre eigenen Lebensbedingungen selbst verbessern, denken wir beispielsweise an die streikenden Wanderarbeiter*innen in China.
Auf Unternehmer*innenseite führt ethischer Konsum als Normalzustand zu einem besseren Image – Stichwort greenwashing – und zu mehr Profit. Klar ist, dass soziale und ökologische Werte, die selbstverständlich wichtig sind, von privaten Unternehmen, die in einer Marktwirtschaft agieren, vereinnahmt werden können und auch vereinnahmt werden, um Gewinn zu machen.
Nur als Ausnahmezustand, als Störung, zum Beispiel in Folge von Enthüllungen durch Aufdeckungsjournalismus oder Kampagnenarbeit von Aktivist*innen, führt kritischer Konsum manchmal zu Umsatzrückgängen bei den betroffenen Unternehmen und zwingt diese zu (manchmal nur oberflächlichen) Veränderungen.
Was kann kritischer Konsum alleine nicht verändern?
Kritischer Konsum verändert vor allem nicht die kapitalistische Produktionsweise, die uns mit ihrem eingebauten Wachstumsdrang und Wachstumszwang in die gegenwärtige ökologische Krise geführt hat.
Die Organisation der Produktion und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen selbst muss verändert werden, um die Welt zu verbessern. Die gegenwärtigen multiplen Krisen sind nicht die Folge von schlechter Moral von Produzent*innen oder Konsument*innen, sondern von bestimmten hierarchischen ökonomischen und politischen Strukturen, in denen die meisten Menschen nicht ihr eigenes Leben kontrollieren können. Privateigentum und Markt können nicht demokratisch sein. Für mich ist die einzig mögliche Perspektive die Demokratisierung von Politik und Wirtschaft durch politisches Engagement in sozialen Bewegungen und im Aufbau einer selbstorganisierten, solidarischen Ökonomie, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.
In dieser größeren Perspektive sehe ich die FoodCoops als einen wichtigen Puzzleteil, der für sich alleine genommen aber auch nicht die notwendige Veränderung leisten kann. Aktives Engagement in sozialen Bewegungen und Protesten ist unbedingt notwendig.
Was macht eine FoodCoop?
Wir besorgen uns gemeinsam Lebensmittel. Welche Lebensmittel das sein sollen und wie wir zu diesen kommen, entscheiden wir gemeinsam. Wir sind selbstorganisiert, das heißt es gibt keinen Chef. Im Plenum werden die Entscheidungen getroffen, die alle betreffen. Unsere FoodCoop übernimmt intern Aufgaben, die sonst Supermärkte übernehmen. Als Mitglieder teilen wir die anfallenden Arbeiten untereinander auf, wobei von allen erwartet wird sich einzubringen. Es gibt aber keine Stundenabrechnung – die einzelnen Mitglieder melden sich für die Aufgaben, die sie übernehmen wollen. Dabei gibt es keine hierarchische Arbeitsteilung in Eigentümer*innen, Manager*innen, Regalbetreuer*innen, Kassierer*innen, Putzfrauen usw. Um dennoch klare Verantwortungen zu haben, gibt es verschiedene Arbeitskreise für Bestellungen, Ladendienste, Finanzen, Produktinfo, Speisereisen, Öffentlichkeitsarbeit usw. Es gibt auch keine Trennung in Angestellte und Konsument*innen. Wenn der Ladendienst während den Öffnungszeiten Hilfe benötigt, packen die anderen Mitglieder mit an, auch wenn sie eigentlich nur zum Abholen ihrer Sachen gekommen sind.
Was unterscheidet Engagement in einer FoodCoop vom bewussten Einkaufen?
Während das “ethisch richtige Shoppen” eine individuelle Handlung ist, holt die FoodCoop ihre Mitglieder aus unserer Position als vereinzelte Konsument*innen heraus und bringt uns zusammen zu Diskussionen, gegenseitigem Wissensaustausch, Meinungs- und Entscheidungsbildung und zum gemeinsamen Handeln. Das kann auch zu politischem Engagement führen, das über die selbstorganisierte, solidarökonomische Praxis der FoodCoop hinausgeht.
Im Gegensatz zu Supermärkten, die das Bedürfnis der Menschen nach Lebensmittel nur erfüllen, um aus Geld noch mehr Geld zu machen, geht es in den FoodCoops direkt um die Bedürfnisbefriedigung: Wir wollen möglichst gesunde Lebensmittel aus möglichst ökologisch und sozial nachhaltiger Landwirtschaft. Wir haben keinen Anreiz uns selbst mit schönen Verpackungen oder irgendwelchen Labels zu betrügen. Außerdem kaufen Konsument*innen, die sich ihr gutes Gewissen von Konzernen kaufen, alles andere von diesen Unternehmen auch mit, beispielsweise die hierarchische Arbeitsteilung und die ungleiche Entlohnung in den Supermärkten, ganz zu schweigen vom Preisdruck auf die Produzent*innen.
Intern sind die FoodCoops klassenlos organisiert. Es gibt nicht Eigentümer*innen und Manager*innen einerseits und Arbeiter*innen andererseits. Wir haben keinen Chef, keine Chefin. Die Entscheidungen werden von denen gefällt, die davon betroffen sind. Was in den Supermarktregalen zur Auswahl landet, entscheiden nicht die individualisierten Kund*innen. Die Standards werden zunehmend nicht mehr vom Staat und zumindest teilweise unter Beobachtung der Öffentlichkeit festgelegt, sondern hinter verschlossenen Türen von privaten Unternehmen oder Verbänden bestimmt. Kleine Produzent*innen können sich die Umstellungen für die Erfüllung der privaten Standards oft nicht leisten und werden entweder ganz aus dem Geschäft oder zumindest in weniger profitable Märkte verdrängt.
Die FoodCoops sind noch kein fertiges Modell, sondern entwickeln sich weiter. Während die FoodCoops intern bereits selbstorganisiert sind und sich stark von Supermärkten unterscheiden, haben wir nach außen hin mit unseren Produzent*innen und Lieferant*innen noch immer Marktbeziehungen. Diese werden zwar in einem ersten Schritt durch persönlichen Kontakt mit den Produzent*innen wieder in soziale Beziehungen eingebettet, dennoch sind es undemokratische Marktbeziehungen. Ein weiterer Schritt ist CSA, community supported agriculture: An die Stelle vieler kleiner, kurzfristiger Marktbeziehungen, an die Stelle des täglichen oder wöchentlichen Einkaufs tritt eine größere, längerfristige Marktbeziehung indem die Gemeinschaft die Produktion für ein Jahr vorfinanziert und dann Ernteanteile erhält und so das Risiko einer schlechten Ernte mit den Bäuerinnen und Bauern teilt. Außerdem wird ein erster wichtiger Schritt in Richtung demokratischer Planung von unten gesetzt, indem am Anfang des Jahres Produzent*innen und Konsument*innen gemeinsam beschließen, was produziert werden soll. Das auch CSA-Betriebe in Konkurrenz zueinander stehen, weil sie noch immer am Markt operieren, ist jetzt vielleicht noch nicht sichtbar, weil sich die Nische gerade erst auf tut. Aber was, wenn es viele CSA-Betriebe gibt? Der nächste Schritt wäre meiner Ansicht nach die Übertragung der internen demokratischen Planung der FoodCoops nach außen.
Als Mitglied einer FoodCoop bin ich aktiv in Gestaltungsprozessen von solidarischer Ökonomie involviert. Die Praxis der FoodCoops geht also weit über die individuellen Einkaufsentscheidungen zwischen Ware A und Ware B hinaus. Das kann, davon bin ich überzeugt, in Verbindung mit politischem Engagement in sozialen Bewegungen und Protesten die Welt so verändern, dass ein gutes Leben für alle möglich wird, nicht nur ein gutes Gewissen für wohlhabende Konsument*innen und mehr Profit für eine kleine Minderheit.
Literatur zum Thema
Dieter Behr und Lisa Bolyos (2008): “Schlafende Riesen? Kritik des kritischen Konsums und Thesen zu Brüchigkeiten in der Wertschöpfungskette”
Kathrin Hartmann (2009): “Ende der Märchenstunde: Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt”