Zwischen Karotten, Widerstand und Autonomie

Das Innenlebens einer Wiener Food-Coop.

Zwiebeln, Erdäpfel und Karotten im Holzregal links, daneben aufgestapelte Apfelsaft- und Weinflaschen. Geschäftig rechnen ein paar Leute etwas zusammen, wiegen den Dinkelreis ab und holen sich die Rohmilch aus dem Kühlschrank.
So sieht also das Innenleben einer der Wiener Food-Coops aus. Food-Coop? Richtig, es handelt sich um eine Food-Cooperative, zu Deutsch: Lebensmittelkooperative. Dabei geht es um eine Gruppe von Menschen, die sich zusammenschließen, um ökologisch und sozial gerecht hergestellte Nahrungsmittel von lokalen Produzent*innen zu beziehen. Es gibt mehrere Arten: von kleinen Bestell-Coops über Lager-Coops hin zu sehr großen Mitglieder-Läden, die selbst Angestellte haben, wie dies in den USA teilweise der Fall ist. In Wien befinden sich derzeit drei kleine Lager-Coops und weitere sind gerade am Entstehen.

Und warum so kompliziert?

Gesund, Bio und Fair Trade, das gibt’s doch genauso im Supermarkt, könnte mensch meinen. Es geht jedoch um viel mehr:

Food-Coops sind Ausdruck der Kritik am gängigen Agrar- und Lebensmittelsystem, das sehr stark von Supermärkten und der Agrarindustrie dominiert ist. Es geht nicht nur um eine Veränderung über den individuellen Konsum, sondern um die Politisierung des Konsums und des Handels, um die Demokratisierung des Nahrungsmittelsystems, um Widerstand und das Erringen autonomer Handlungsspielräume. Kurz: Es geht um Ernährungssouveränität.

Beim Bio oder Fair Trade der Food-Coops ist weder die ansprechende Mogel-Verpackung das Wichtige, noch steht das Gütesiegel im Vordergrund. Stattdessen soll gemeinsam bestimmt werden können, worauf es ankommt: Auf die ökologisch nachhaltigen und sozial gerechten Produktionsbedingungen, auf das Ausschalten großer Zwischenhändler*innen, auf geringe Transportwege, auf faire Preise und gleichzeitig leistbare Nahrungsmittel oder auf solidarische Wirtschafts- und Lebensweisen. So finden sich neben den regionalen Karotten und Haferflocken beispielsweise auch Kaffee und Kakao von ähnlich gesinnten lateinamerikanischen Bewegungen im Sortiment.

„Aha, und wie funktioniert das hier genau?“, fragt eine junge Familie, die gerade das Lager zum ersten Mal betreten hat, den Ladendienst. Die Aufgaben, die in einer Food-Coop anfallen, erledigen die Mitglieder selbst. Bestellung, Einkauf, Finanzen, Ladendienst – alles wird in Arbeitskreisen kollektiv organisiert und in regelmäßigen Plena basisdemokratisch entschieden. Haltbare Waren werden auf Vorrat besorgt, Frischprodukte können sich die Personen online wöchentlich vorbestellen. Manche Waren liefern die Hersteller*innen direkt ins Lager, andere müssen selbst vom Hof abgeholt werden. Neben den Aufgaben teilen sich die Mitglieder auch die laufenden Kosten (Miete, Strom), indem sie monatliche Beiträge zahlen. Bei einer der Wiener Food-Coops ist dies über freie Preise geregelt. Damit soll innerhalb der Gruppe eine Art sozialer Ausgleich stattfinden, um nicht die im Kapitalismus vorherrschende Exklusion durch Geldmangel zu reproduzieren.

Food-Coops können noch viel mehr:

Theorie-Kreise, Workshops und Öffentlichkeitsarbeit, Volxküchen, in denen gemeinsam gekocht wird, oder das Einmachen von Konserven stehen neben dem gemeinsamen Einkaufen oft ebenfalls auf dem Programm. Auch eine Brotbackgruppe gibt es, welche die Food-Coops wöchentlich mit frischem Brot versorgt.

Hin und wieder werden gemeinsam Besuche bei den Bauernhöfen gemacht, um den direkten Kontakt zu wahren. Gemeinsam mit dem Demeter-Bauern Hirsch konnten die Wiener Foodcoops bei einer dieser „Speisereisen“ im Mai 2011 zum Beispiel ihren eigenen Mozarella machen und Einkaufsangelegenheiten regeln. „Bissl größere Käse-Einheiten könntet‘s mal bestellen, sonst ist’s so viel Arbeit, des immer einzeln zusammenzuschneiden“, meinte Josef Hirsch. Im Idealfall ermöglichen Food-Coops eine alternative Abnahmestelle zu Supermärkten. Hier ergibt sich oft jedoch das Problem, dass die Lebensmittelgemeinschaften relativ klein sind – etwa 50 Personen pro Food-Coop in Wien – und stark aus dem studentischen Umfeld kommen. In den Ferienzeiten geht darum häufig der Einkauf drastisch zurück. Ein Ziel ist deshalb, auch gezielt Familien und andere Menschen aus der Nachbarschaft mit einzubinden, um eine gewisse Regelmäßigkeit zu ermöglichen und das Konzept weiter zu verbreiten. Kleine Foodcoop-Einheiten sind für eine hierarchiefreie und basisdemokratische Struktur jedoch auch sehr wichtig. Ein weiteres Ziel ist deshalb, dass vielmehr zahlreiche kleine Food-Coops entstehen und diese sich gemeinsam vernetzen, Einkäufe zusammen regeln und Kräfte bündeln.

Food-Coops – die Alternative? Nein, die Alternative gibt es wohl nicht. Es gibt vielfältige Wege, „Ernährungssouveränität zu praktizieren“, die je lokal und sozial angepasst sein sollten. Food-Coops passen gut für den städtischen Raum und für Menschen, die ein wenig Zeit in ihre tägliche Nahrungsbeschaffung investieren wollen und können. Durch den damit gelebten Widerstand, die Autonomie und Selbstorganisation stellen sie mehr dar, als nur „Konsument*innen-Demokratie“. Dass es damit immer noch nicht getan ist, ist jedoch auch klar.

Autorin: Magdalena Heuwieser

Erstmals erschienen in der Broschüre Ernährungssouveränität